Muhammad* spricht nicht. Der kleine Junge steht einsam auf einem steinigen Feld auf der Baustelle des Palastes für den Emir von Anka.
Die Pläne für den Bau liegen auf Eis: Hunderte von Vertriebenen aus dem Bundesstaat Zamfara leben nun in unfertigen Gebäuden und Notunterkünften, die MSF dort errichtet hat.
Der dreijährige Muhammad* in Anka, im Staat Zamfara in Nigeria. 2019. © Benedicte Kurzen/NOOR
„Muhammad musste viel ertragen“, sagt Anja Batrice, die als Ärztin für uns in Anka arbeitet.
„Mohammeds Dorf wurde von bewaffneten Kriminellen angegriffen und zerstört. Wir glauben, dass diese Erfahrungen dazu geführt haben, dass er sich so in sich zurückgezogen hat.“
Unsere Gesundheitsberaterin Suraiya Umar arbeitet in Anka gemeinsam mit ihrem Team daran, bessere hygienische Bedingungen für die Vertriebenen zu schaffen.
„Die Leute hier haben alles verloren“, berichtet sie. „Die Angriffe, bei denen immer wieder viele Menschen umgebracht werden, haben sie gezwungen, aus ihren Dörfern zu fliehen und all ihre Habseligkeiten zurückzulassen.“
Eine Klinik im Zelt
Es ist der Beginn der Regenzeit in Zamfara. In dieser Zeit verzeichnen unsere Teams jedes Jahr einen deutlichen Anstieg von Patient*innen mit Malaria. Das Wetter schafft ideale Lebensbedingungen für Stechmücken, die Malaria übertragen. Anja Batrice und ihr Team betreiben auf dem Gelände des Emir-Palastes eine Zeltklinik. Das Team ist ausgestattet, um einfachere Diagnosen zu stellen und weniger gravierende Erkrankungen zu behandeln.
Eine Patientin, die in der Zeltklinik behandelt wird, ist die zehnjährige Aisha*, die von ihrer Mutter Zuwaira* in die Klinik gebracht wurde. Ein Schnelltest bestätigt, dass Aisha an Malaria erkrankt ist – wie so viele Menschen derzeit.
Geld und Gold
Vor sieben Monaten flohen Zuwaira, Aisha und der Rest ihrer Familie nach wiederholten Angriffen bewaffneter Krimineller aus ihrem Haus in einem Dorf in der Nähe Ankas. Die Angreifer forderten Geld.
„Sie drohten, uns zu töten, wenn sich herausstellen sollte, dass wir Geld vor ihnen versteckt hätten“, sagt Zuwaira. Die Angreifer kehrten mehrmals ins Dorf zurück. „Einmal haben sie drei junge Männer entführt“, sagt Zuwaira. „Wir haben lange nichts von ihnen gehört. Wir wissen inzwischen, dass sie getötet wurden.“
Viele Männer aus ihrem Dorf, darunter auch Zuwairas Ehemann, verdienten ihren Lebensunterhalt mit dem Abbau von Gold. In den Dörfern behandelten die Goldsucher dann das geförderte Gestein mit Chemikalien, um das wertvolle Metall herauszulösen.
Dabei kontaminierten sie ihre Wohnorte meist unwissentlich stark mit Blei. Besonders bei Kindern führt dies schnell zu einer Bleivergiftung, die irreparable körperliche Schäden zur Folge hat.
Abgeschnitten von der Hilfe
Als sie noch in ihrem Dorf lebten, litten zwei von Zuwairas Kindern an Bleivergiftung.
„Ärzte ohne Grenzen hat unsere Kinder behandelt, als sie krank wurden. Inzwischen geht es ihnen aber besser“, sagt Zuwaira.
Bis vor einiger Zeit fuhren sie dazu mit Autos in abgelegene Dörfer, um die kranken Kinder zu finden und zu behandeln. In den vergangenen Monaten haben Entführungen und gewaltsame Raubüberfälle dies jedoch unmöglich gemacht.
Amina mit ihren jüngsten Kindern. Nigeria. 2019. © Benedicte Kurzen/NOOR
Kein Dach über dem Kopf
Aisha und ihre Mutter Zuwaira leben heute in einem verlassenen Gebäude. Die Hälfte der Räume in dem grauen Betonbau ist nicht überdacht. Verfallene Balken ragen in den wolkigen Himmel.
Es sind dringend Reparaturen notwendig, um Dutzende von vertriebenen Familien vor dem Regen zu schützen. Im offenen Innenhof hat sich bereits eine große Wasserpfütze gebildet – ein idealer Nährboden für Mücken. Dass Aisha an Malaria erkrankt ist, verwundert nicht.
Das Medikament, das Aisha in unserer Klinik erhalten hat, zeigt Wirkung. Gestern noch lag sie krank und schläfrig im Arm ihrer Mutter; einen Tag später spielt sie bereits wieder mit den anderen Kindern im Hof.
„Ich hoffe, dass all diese Familien irgendwann in ihre Dörfer zurückkehren können“, sagt Anja Batrice. „Sie brauchen ein richtiges Zuhause.“
Bedenkliche Zahlen
Neben der Malaria ist die schlechte Versorgung mit Nahrungsmitteln ein zunehmendes Gesundheitsrisiko für Kinder in der Region.
„Die hohe Anzahl von Kindern, die wir in Anka wegen Mangelernährung behandeln müssen, lässt Schlimmes vermuten über die Situation im Rest des Bundesstaates Zamfara“, sagt die Ärztin Valerie Weiss, die unser Team im Krankenhaus anleitet.
„Wenn wir so große Zahlen hier in Anka haben, müssen wir mit ähnlich vielen Fällen von Mangelernährung in all den Gebieten rechnen, in denen wir aus Sicherheitsgründen gar nicht arbeiten können.“
* Namen wurden geändert, um unsere Patient*innen zu schützen.