Welche Projekte hat MSF in Guinea ?
Ärzte ohne Grenzen setzt sich in Guinea für einen besseren Zugang zur medizinischen Versorgung und für die Entwicklung neuartiger Pflege- und Versorgungsmodelle ein, die an das Gesundheitssystem angepasst sind, welches sich infolge der Ebola-Epidemie von 2014 bis 2016 verschlechtert hatte.
In Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Gesundheit unterstützt MSF in Matam in Conakry derzeit 11 000 Menschen, die mit dem HI-Virus infiziert sind. Das Projekt bietet in sechs Gesundheitszentren in der Hauptstadt Conakry Leistungen zur Erkennung und Behandlung des HI-Virus sowie der regelmäßigen Kontrolle, aber auch Maßnahmen zur Gesundheitsförderung. Seit Dezember 2016 unterstützt MSF eine Klinik mit 31 Betten im Donka Hospital, die medizinische Versorgungsleistungen für stationäre Patienten bietet.
2017 hat MSF auch neue Aktivitäten in Kouroussa im Nordosten Guineas in die Wege geleitet, wo Malaria stark verbreitet und die häufigste Todesursache ist.
Kannst du uns von dem Ereignis erzählen, an dem du vor Ort teilgenommen hast ?
Um das verständlich zu machen, muss ich ganz von vorn anfangen. Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières (MSF)) ist eine internationale Organisation, die stark von ihren Mitgliedern (ehemalige und aktuelle Mitarbeiter) beeinflusst wird und in diesem Sinne von einer Kultur geprägt ist, die sich durch das Hinterfragen und Diskussionen auszeichnet. Die Mitglieder kommen bei den verschiedenen Generalversammlungen einmal im Jahr zusammen, um die wichtigsten Leitlinien und Herausforderungen der Organisation zu besprechen und den Vorstand zu wählen, dessen Aufgabe es ist, für die Umsetzung der von der Organisation festgelegten Ziele zu sorgen.
Meine Reise nach Guinea fand im Rahmen der Generalversammlungen vor Ort statt, die auch als FAD (Field Associative Debates) bezeichnet werden. Diese Generalversammlungen werden in den verschiedenen Missionen organisiert und haben zum Ziel, den Menschen Gehör zu verschaffen, die unmittelbar an den Projekten beteiligt sind.
Welche Bedeutung haben diese FAD vor Ort ?
Diese FAD sind Veranstaltungen, die insbesondere Gelegenheit für Diskussionen und den Austausch von Informationen und Erfahrungen bieten. Dabei haben die Mitglieder und Mitarbeiter der Mission die Möglichkeit, Dinge zu besprechen, an Entscheidungen mitzuwirken und Veränderungen in die Wege zu leiten, um das Projekt voranzubringen. Die FAD sind also ein konkretes Mittel zur Motivation, aber auch zur Einbeziehung und Mitwirkung innerhalb der Organisation. Wenn sich ein Problem ergibt, das auf eine internationale Entscheidung zurückzuführen ist, kann ein Antrag oder eine Empfehlung ausgearbeitet und in Luxemburg und/oder auf internationaler Ebene vorgelegt werden.
Über die FAD wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Mitglieder von MSF die Möglichkeit haben, an der Gestaltung der Funktionsweise, der Identität und der Strategie der Organisation mitzuwirken. Ärzte ohne Grenzen ist das, was wir daraus machen.
Worin bestand deine Rolle als Mitglied des Vorstands ?
Meine Aufgabe vor Ort bestand also darin, eine Verbindung zwischen dem Feldeinsatz und unserem Verein in Luxemburg herzustellen. Diese Verbindung ist sehr wichtig für die Beständigkeit unserer Maßnahmen und Einsätze. Die Menschen, die ich vor Ort getroffen habe, kennen ihr Projekt und ihre Arbeit ganz genau. Nur indem wir ihnen zuhören und ihre Interessen bei den internationalen Generalversammlungen vertreten, kann Ärzte ohne Grenzen als Bewegung fair und konstruktiv vorankommen.
Welche Themen wurden bei der FAD in Guinea behandelt ?
Für die Diskussionen bei der FAD in Guinea wurden drei Hauptthemen bestimmt.
Das erste Thema bezog sich auf die Resistenz gegen Antibiotika, heute eine große Herausforderung, nicht nur in Guinea, sondern auf der ganzen Welt. Die Zunahme dieser Resistenzen muss dringend kontrolliert werden. MSF muss als internationale Organisation, die medizinische und humanitäre Hilfe bietet, in diesem Bereich als Beispiel vorangehen, aber die Herausforderung ist enorm und es müssen langfristige Maßnahmen ergriffen werden. Die bei der Diskussion in Guinea vorgeschlagenen Lösungen bezogen sich im Allgemeinen auf eine angemessene und begrenzte Verschreibung von Antibiotika, die Beseitigung von Arzneimittelfälschungen und die Prävention durch strengere Hygienemaßnahmen.
Das zweite Thema stand in Verbindung mit der sexuellen Gewalt in Guinea. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen leisten im Rahmen des HIV-Projekts in Matam auch Menschen Hilfe, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind und durch das Gesundheitsministerium an MSF verwiesen werden. Das Gesundheitsministerium ist die einzige Stelle, die berechtigt ist zu erklären, dass rechtlich gesehen ein Fall von sexueller Gewalt vorliegt. Es leitet diese Fälle in Bezug auf das HI-Virus an Matam weiter, da die Klinik über Kompetenzen und Strukturen verfügt, die darauf ausgerichtet sind.
Diese Debatte ist ein Beweis dafür, dass die FAD konkrete praktische Folgen haben können.
MSF reagiert also auf dieses Problem, ohne jedoch die gezielte Beschäftigung damit in der Gemeinde zu fördern. Bei dieser Diskussion ging es daher um die Frage eines eventuellen Ausbaus der Initiative, indem eine Komponente bezüglich der Sensibilisierung im Viertel ergänzt wird. Diese Debatte ist ein Beweis dafür, dass die FAD konkrete praktische Folgen haben können, denn am Ende wurde beschlossen, dass der Ausbau des Projekts von einer Gruppe von Freiwilligen erneut besprochen und durchgeführt wird.
Der letzte Punkt betraf die Integration innerhalb der Bewegung MSF und in Guinea. Dabei handelt es sich um ein sehr weites und sensibles Thema. In Guinea arbeiten zahlreiche Menschen aus der Demokratischen Republik Kongo, Mali, Burundi, Norwegen oder Frankreich Hand in Hand mit den einheimischen Kräften in der Mission. Die kulturellen Unterschiede können manchmal Quelle von Frustrationen, Missverständnissen oder auch von Konflikten sein. Gleichzeitig sind sie aber auch die Grundlage unserer Arbeitsweise und Funktionsfähigkeit, da sie eine tiefgründige Kenntnis der verschiedenen Kontexte ermöglichen und die Stärke unserer Unabhängigkeit ausmachen. Der gegenseitige Respekt ist für die kontinuierliche Entwicklung von MSF ganz wesentlich.
Welcher Moment war für dich während dieser beiden Tage des Austauschs der prägendste ?
Bei einer Diskussion ist eine Person aufgestanden und hat berichtet, dass sie das Ebola-Virus überlebt hat. Guinea wurde durch diese verheerende Epidemie zwischen 2014 und 2016 wirklich schwer getroffen und oft vergisst man die Spuren, die solche Geschehnisse hinterlassen können. Diese Person, die nach wie vor für MSF arbeitet, hat mich sehr berührt. Für manche Menschen hat Engagement keine Grenzen.
Titelphoto : Debatte über die Resistenz gegen Antibiotika auf der FAD in Guinea, Februar 2018. © MSF