Kannst du uns die Situation bei deiner Ankunft schildern?
Bei meiner Ankunft im November 2018 erklärten mir meine Kollegen, dass Busse vor dem Flüchtlingslager warteten, die Freiwillige wieder in ihr Land zurückbringen sollten. Jedoch funktionierte das nur einige Tage lang, da kein Rohingya nach Myanmar zurückkehren wollte, von wo sie erst vor kurzem geflüchtet waren. Da die Busse leer blieben, wurden bald keine mehr geschickt.
Die meisten der etwa 900.000 Rohingya wurden auf ein „Megaflüchtlingslager“ im Norden des Bezirks Cox’s Bazar verteilt, sowie auf kleinere Lager im Süden. Die Mehrheit war 2017 aufgrund der Gewalt aus Myanmar geflohen und hierhergekommen. Zuerst kümmerte sich Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) um die zahlreichen Verletzungen der Gewaltopfer.
Bei meiner Ankunft 2018 hatten wir dann eher mit Hautinfektionen und Atemwegserkrankungen sowie den Masern und Windpocken zu kämpfen. Diese Gesundheitsprobleme breiten sich bei Platzmangel und schlechten hygienischen Bedingungen aus, die in Cox’s Bazar häufig anzutreffen sind.
Wie hat sich die Lage im Laufe des Jahres 2019 verändert?
Die Situation der Rohingya-Flüchtlinge wurde immer unerträglicher. Sie haben keinerlei Zukunftsperspektive. Sie wollen im Lager bleiben, da sie sich bei ihrer Rückkehr nach Myanmar neuer Gewalt fürchten. Doch das aus Bambus und Plastikplanen errichtete Cox’s Bazar war nur als vorübergehende Unterkunft gedacht. Es fehlt an allem und besonders an einer zuverlässigen Gesundheitsversorgung rund um die Uhr.
Es kursieren viele Gerüchte, vor allem nach der Ankündigung der Regierung im Sommer 2019, 100.000 Flüchtlinge auf die Insel Bhasan Char zu verlegen. Angeblich wurde eine „Freiwilligenliste“ erstellt, doch ich habe keinen Rohingya angetroffen, der sich freiwillig gemeldet hätte. Ganz im Gegenteil, denn die Ankündigung hatte bei den Flüchtlingen Angst ausgelöst, auf die Insel verschleppt zu werden.
Die Bewohner des Lagers sind umso beunruhigter, da das Kommunikationsnetz häufig zum Erliegen kommt und sie so ihre Familien nicht erreichen können. Unsere Teams für mentale Gesundheit mussten Patienten betreuen, die depressiv wurden, da sie vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten waren und sich Sorgen um ihre Angehörigen machten.
Was tun die medizinischen Teams, um den Bedürfnisse der Bevölkerung nachzukommen?
MSF bietet Primär- und Sekundärversorgung an, vor allem im Bereich Geburtshilfe. Wir bilden Hebammen aus, die schwangeren Frauen bei der Entbindung helfen. Und vor allem bieten wir zu jeder Tages- und Nachtzeit eine allgemeine Notversorgung an.
Doch wie alle NGOs im Lager plagen auch wir uns mit Schwierigkeiten herum. Dazu gehören die unzuverlässige Telefon- und Internetverbindung, aber auch die Überweisung unserer Patienten auf die Intensivstation.