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MSF Cox's Bazar Bangladesh

Bangladesch

Herausforderungen im Zusammenhang mit einer extremen Bevölkerungsdichte

Flüchtlingslager im Distrikt Cox‘s Bazar. Bangladesch. November 2018. © Vincenzo Livieri/MSF
Augenzeugenberichte 
Tessy Fautsch - medizinische Koordinatorin
Interview* mit Tessy Fautsch, die als medizinische Koordinatorin für Ärzte ohne Grenzen seit dem 5. November 2018 in Bangladesch im Distrikt Cox‘s Bazar ist. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist sie verantwortlich für die medizinische Qualität der Projekte von Ärzte ohne Grenzen.
    Wie ist die Situation in Cox‘s Bazar, wo du derzeit bist?

    Ich arbeite in Cox‘s Bazar und fahre regelmäßig nach Ukhyia, einen Unterdistrikt von Cox‘s Bazar, in dem sich die Flüchtlingslager befinden.

    Von den 25 Flüchtlingslagern, die es in der Region gibt, deckt meine Arbeit drei verschiedene Lager ab, in denen insgesamt 100.000 Menschen leben. Man muss sich vor Augen halten, dass in den 25 Flüchtlingslagern insgesamt etwa eine Million Menschen leben. Das ist wirklich enorm, die Bevölkerungsdichte ist extrem hoch und die Menschen leben im wahrsten Sinne des Wortes sehr eng aneinander. Diese hohe Konzentration an Menschen erfordert viel Arbeit, aber wir decken die Bedürfnisse an medizinischer Erstversorgung gut ab. Der Bedarf ist dabei so hoch, dass vier Teams von Ärzte ohne Grenzen vor Ort sind, wobei jedes davon verschiedenen Projekten nachgeht. Ich bin die medizinische Koordinatorin eines dieser Teams.

    Bezüglich der Krankenhäuser haben wir derzeit einige Schwierigkeiten im Bereich der Notfallchirurgie, da eines der Krankenhäuser, das von einer anderen NRO unterstützt wurde, geschlossen hat: Die anderen Krankenhäuser mussten sich daraufhin neu organisieren. Das Referenz- und Rotationssystem ist noch nicht komplett eingerichtet, sodass man manchmal wirklich nachdrücklich vorgehen muss, um einige Notfälle wie zum Beispiel einen dringenden Kaiserschnitt zu referenzieren. Dies ist einem Mangel an qualifiziertem Personal wie etwa Gynäkologen geschuldet.

    Bei einer hohen Bevölkerungsdichte besteht eine große Gefahr für Epidemien. Das bedeutendste Risiko hier ist die Cholera. Um dagegen anzukämpfen, wurde die Bevölkerung mehrfach geimpft, und wir hoffen, dass dadurch keine Cholera-Epidemie ausbrechen wird.

    Derzeit sind wir von einer Windpocken-Epidemie betroffen, die vor allem Jugendliche und Erwachsene betrifft. Normalerweise sind die Windpocken keine schlimme Krankheit, außer für gefährdete Personen wie Schwangere. Unsere Teams hatten bis jetzt jedoch noch keine komplizierten Fälle vorliegen.

    Welche Bedürfnisse hat die Bevölkerung und wie kommt dein Team diesen nach?


    Wir haben drei Gesundheitszentren für die ambulante Betreuung und bieten Tätigkeiten im Bereich der Reproduktionsgesundheit, welche die Familienplanung, die pränatale und postnatale Gesundheit sowie Entbindungen umfasst.

    Ärzte ohne Grenzen setzt sich auch für Maßnahmen zur Gesundheitsförderung auf kommunaler Ebene – insbesondere im Bereich Hygiene – sowie für geistige Gesundheit ein, um den betroffenen Personen eine psychologische und psychiatrische Betreuung zur Verfügung stellen zu können.

    Dieses Projekt beinhaltet auch einen kleinen WatSan-Teil (Water and Sanitation), wobei es um den Zugang zu fließendem Wasser und Latrinen geht: Drei Bohrlöcher ermöglichen der Bevölkerung einen Zugang zu Trinkwasser, außerdem kümmert sich Ärzte ohne Grenzen um den Bau von Latrinen.
    In Cox‘s Bazar unterstützt Ärzte ohne Grenzen ein Krankenhaus des Gesundheitsministeriums in den Bereichen Krankenhaushygiene und Abfallmanagement durch die Modernisierung der Abfallbereiche und Hygieneschulungen des Krankenhauspersonals.

    Wie wird sich die Situation deiner Meinung nach entwickeln?

    Das hängt stark von der politischen Lage ab. Im November gab es eine Debatte bezüglich der Rückführung der Flüchtlinge. Die aktuelle Lage in Myanmar ist jedoch alles andere als optimal für diese Bevölkerungsgruppen. Die Wahlen in Bangladesch waren in den vergangenen Wochen ein äußerst präsentes Thema, die Flüchtlingsproblematik stand dabei jedoch nicht im Vordergrund.

    Wir beobachten, dass weiterhin Flüchtlinge ankommen, es gibt also immer noch Bewegungen in diesen Bevölkerungsgruppen. Die Situation ist nicht stabil und wird sich in den nächsten Monaten voraussichtlich nicht verbessern. Die Personen, die in letzter Zeit angekommen sind, kommen hauptsächlich aus Indien.

    Die medizinische Versorgung klappt gut, jedoch gibt es eine extrem hohe Bevölkerungsdichte und viele humanitäre Helfer.

    Welche Rolle hast du als medizinische Koordinatorin vor Ort und mit welchen Herausforderungen wirst du bei deiner Arbeit konfrontiert?

    Es ist das erste Mal, dass ich als medizinische Koordinatorin auf eine stabilisierte Mission gehe, jedoch war ich bereits in Notfallsituationen als medizinische Betreuerin tätig.

    Ich gehe regelmäßig in das Krankenhaus von Cox’s Bazar, um die verschiedenen Tätigkeiten zu überwachen. Außerdem besuche ich derzeit häufig die verschiedenen Flüchtlingslager. Ich bin die medizinische Verantwortliche der Flüchtlingslager, in denen gerade Not am Mann ist: Vor Kurzem verbrachte ich drei Wochen direkt vor Ort, wo ich einen regen Kontakt mit unseren Patienten hatte.

    Was die spezifischen Herausforderungen angeht, so muss man sich vorstellen, dass alles sehr groß ist und dass es zahlreiche Akteure gibt (das örtliche Gesundheitsministerium, sonstige lokale Ministerien, die Vereinten Nationen sowie Dutzende internationale und lokale NRO sind ebenfalls impliziert). Die Kommunikation gestaltet sich manchmal schwierig, insbesondere hinsichtlich der medizinischen Daten: Wir können die Daten nicht gleichgültig an eine Vielzahl von Akteuren übermitteln, von denen einige untereinander nicht kommunizieren. Da es viele Akteure gibt, wird auch der Arbeitsaufwand größer. Wir geben die Daten an das Gesundheitsministerium und auf Distriktebene weiter. Es ist ein kompliziertes Anliegen, die Datenverbreitung zu koordinieren und ein gegenseitiges Einvernehmen zu finden.

    Die hohe Bevölkerungsdichte stellt ebenfalls eine Herausforderung dar. In dem Lager, in dem mein Team arbeitet, leben 100.000 Menschen und es gibt kein Kanalisationsnetz wie in Europa: Die Latrinen füllen sich und müssen geleert werden. Bezüglich der Abfallentsorgung gibt es keine zentrale Sammlung. Die Wege sind außerdem so schmal, dass man sie gerade einmal mit dem Fahrrad durchqueren kann, weshalb es für die Lastwagen unmöglich ist, zu kommen. Dies ist eine logistische Herausforderung, da es kein öffentliches Müllsystem gibt. Ärzte ohne Grenzen muss sich um die Abfallentsorgung und die Gesundheitszentren kümmern. So geben wir den Patienten zum Beispiel Wasserflaschen mit ORL (orale Rehydratationslösung). Wir müssen eine Lösung finden, um die Wasserflaschen zu ersetzen und die damit einhergehende Logistik zu vereinfachen (Entsorgung von Abfällen und Kunststoffen).

    Kannst du uns erzählen, wie ein typischer Tag bei dir abläuft?

    Meine Arbeitszeit teilt sich zwischen dem Koordinationsbüro unserer Mission und Besuchen vor Ort, in den Krankenhäusern und Gesundheitszentren auf.

    Ich beginne morgens um 7:00 Uhr und gehe zunächst ins Büro, weil es da noch ruhig ist: Die Zeit nutze ich, um meine verschiedenen Nachrichten aufzurufen.

    Dann nehme ich ein- bis zweimal pro Woche an sogenannten „Cluster-Meetings“ mit anderen NRO und Organisationen der Vereinten Nationen teil, um unsere Tätigkeiten zu koordinieren.

    Ich muss auch die Fragen meiner Teams beantworten, die Ratschläge zu den zu verwendenden Protokollen erhalten möchten. Bezüglich der Windpocken setze ich mich für die Empfehlungen beispielsweise mit der Zentrale in Verbindung. Wir haben beschlossen, unser Personal gegen Windpocken zu impfen. Zwischen der Zentrale und den weiteren Akteuren fällt viel Verwaltungs- und Koordinationsarbeit an. Wenn ich unterwegs bin, versuche ich die Gesundheitszentren, in denen die medizinischen Versammlungen organisiert werden, zu besuchen, bevor diese stattfinden.

    Normalerweise bin ich gegen 16:00 Uhr zurück im Büro. Aber einen richtig typischen Tagesablauf habe ich nicht.

    Was motiviert dich Tag für Tag?

    Die verschiedenen Herausforderungen und die Tatsache, dass immer etwas zu regeln ist, haben etwas äußert Motivierendes an sich. Man wird sich bewusst, dass Ärzte ohne Grenzen einen echten Einfluss hat. Wenn man sich die Anzahl der Untersuchungen pro Monat ansieht, dann ist das schon etwas.

    Wir mussten zum Beispiel eine unserer drei Entbindungsstationen im August schließen, weil die Hebammen, die für Ärzte ohne Grenzen tätig waren, zu diesem Zeitpunkt für das Gesundheitsministerium arbeiteten. Wir konnten so keine Entbindungen mehr vornehmen und mussten eine Rekrutierungs- und Schulungskampagne organisieren. Seit zwei Monaten führen wir in den Gesundheitszentren wieder Entbindungen durch: Wir haben also eine positive Auswirkung, denn ohne Entbindungsstation würden die Frauen zu Hause entbinden und verschiedene damit einhergehende Risiken auf sich nehmen.

    Wenn man sich all diese positiven Sachen anschaut, so ist dies eine tolle Motivation für unsere weitere Arbeit.

    Möchtest du ein persönliches Erlebnis mit uns teilen?

    Ja, vor einer Woche begleitete unser logistischer Betreuer aus Bangladesch seine Frau in das öffentliche Krankenhaus und merkte an, dass es viel sauberer sei als noch vor sechs Monaten. Dies zeigt den Einfluss unserer Arbeit: eine Verbesserung der Reinigung, der Hygiene und des Abfallmanagements. Er war stolz darauf, für Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten.

    Was möchtest du den Personen sagen, die dir unterstützende Nachrichten senden?

    Ein großes Dankeschön! Es ist sehr nett, anspornende Nachrichten zu übermitteln. Es tut gut, zu sehen, dass sich Leute dafür interessieren, und die Tatsache, dass jemand an uns denkt, motiviert mich und mein Team.

    Falls es Krankenpfleger, Logistiker oder Finanzexperten gibt, die im Ausland arbeiten möchten, sind sie herzlich willkommen!

    Das Interview wurde am 17. Januar 2019 durchgeführt.